Zeit
des Vergessens - Beifußzeit
Der nächste und weitaus
nachhaltigere Wandel in der Gesellschaft und damit auch für das Wirken der
Kräuterfrauen brachte die Christianisierung. Die Geschichten zu den
Veränderungen, die dieser neue Glaube mit sich brachte, füllen ganze
Bibliotheken. Jeder Geschichtsschreiber bringt dabei auch seine eigene
Weltanschauung mit ein, jeder betrachtet die Auswirkungen aus einem anderen Blickwinkel.
Insbesondere über die Hexenverfolgung, die in hohem Maße auch eine Verfolgung
der alten Heilkunde und dem Wissen der Kräuterfrauen war, existiert eine Menge
an Literatur. Ich werde hier nur einige Aspekte aus unterschiedlichen Epochen
beleuchten, um den Rahmen nicht zu sprengen.
Die bis zum Auftauchen
der ersten christlichen Missionare in Nordeuropa verehrten weiblichen
Gottheiten galten als die
Lebensspenderinnen, Erdmütter, Erntebringerinnen. Freya, Diana, Holle oder
Hulda, Venus, Demeter um nur einige zu nennen wurden als Göttinnen verehrt und
hatten ihren festen Platz im Leben der Menschen. Jede der Gottheiten wurde für
ihren eigenen speziellen Wirkungskreis angerufen. Der neue Glaube an einen
monotheistischen männlichen Gott entsprang
einer völlig anderen Kultur. In den Oasen der Wüsten beschränkte man sich auf einen
einzigen, mächtigen, allein herrschenden männlichen Gott. Der neue Gott als
Erlöser fand zunächst in den niedrigen Bevölkerungs-schichten Beachtung, erst
als der größte Teil der Menschen den neuen Glauben angenommen hatte, wurde er
zur Staatsreligion im Römischen Reich. Dem neuen Gott wurden die Rolle des
Wohltäters, Allwissenden, Heilers zugeschrieben, für die alten Götter blieben die negativen
Eigenschaften, sie wurden zu menschenfeindlichen Dämonen erklärt. Der Glaube an
nur einen männlichen Gott veränderte das Ansehen der Frauen im Allgemeinen und
der heilkundigen Frau im Besonderen, die Auswirkungen sind bis heute zu spüren.
Vom Beginn der missionarischen Tätigkeit an wurden die weisen Frauen diffamiert,
die Kultur der weiblichen, kräuterkundigen Heilerinnen und die indigene,
naturorientierte Lebensweise waren Rivalen im Kampf und die Seele.
Über einen langen
Zeitraum blieben die heilkundigen Frauen – gerade in dünner besiedelten
Gebieten - offen tätig, wenngleich oft im volkschristlichen Gewand. Sie sammelten
weiterhin ihre Kräuter in der Hecke, im Wald und auf dem Feld, brauten ihre
heilkräftigen Tränke und rührten Salben. Bis ins Mittelalter hinein waren sie die
Trägerinnen alter Spiritualität Von diesen Frauen ist in den Geschichtsbüchern
nichts geblieben, dennoch waren Sie für die körperliche und seelische Gesundheit
der Menschen unersetzlich. Die Menschen brauchten die Kräuterfrauen und verehrten weiterhin ihre Götter in den
alten Naturritualen. Der neue Glaube floss zum Teil einfach in den alten mit
ein, beides existierte miteinander. Bis ins 17. Jahrhundert stand in Köln ein
Tempel der Venus genau so selbstverständlich wie eine christliche Kirche.
In den größeren
Siedlungen verlegte man die Anbetung des neuen Gottes in feste Gebäude, in den
Ritualen der christlichen Gottesdienste war kein Platz mehr für die Verehrung
der Natur. Auch die Menschen lebten zunehmend hinter festen Mauern, viele
Menschen zogen das vermeintlich einfachere Leben in den Städten dem harten
Stand des Bauern vor. Die bisher gelebten Bräuche, die Natur und deren Wesenheiten,
die alten Götter und das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen gerieten mehr und
mehr in Vergessenheit.
Was man nicht mehr kennt,
macht immer auch Angst, so mutierten die einst verehrten
(Pflanzen-)Geister zu Schreckgespenstern. Krankheit galt nun als Strafe für schlechtes Benehmen und musste als solche angenommen werden, nur Reue konnte zur Heilung führen. Bußpraktiken und Wallfahrten – oft verbunden mit der Zahlung wirtschaftlicher Güter an die Kirche, florierten als Heilmittel. Wenn Heilung erlaubt war, dann höchstens durch einen der christlichen Prediger. Die Verwendung der über die Jahrhunderte erlangten Pflanzenheilkunde geriet in Verruf, heilkundige Frauen wurden nun als Wiedersacher des neuen Gottes als „göttlicher Arzt“ angesehen. Da sie in ihren Zyklen und in der Gebärfähigkeit ohnehin der Natur näherstanden als der Mann war es naheliegend, dass ihnen die Rolle der Zwiespältigen, Unheilbringenden und Undurchschaubaren zugeschrieben wurde. Die Heilkunst der Kräuterfrauen wurde nach und nach in den Hintergrund gedrängt und verlor an Bedeutung.
(Pflanzen-)Geister zu Schreckgespenstern. Krankheit galt nun als Strafe für schlechtes Benehmen und musste als solche angenommen werden, nur Reue konnte zur Heilung führen. Bußpraktiken und Wallfahrten – oft verbunden mit der Zahlung wirtschaftlicher Güter an die Kirche, florierten als Heilmittel. Wenn Heilung erlaubt war, dann höchstens durch einen der christlichen Prediger. Die Verwendung der über die Jahrhunderte erlangten Pflanzenheilkunde geriet in Verruf, heilkundige Frauen wurden nun als Wiedersacher des neuen Gottes als „göttlicher Arzt“ angesehen. Da sie in ihren Zyklen und in der Gebärfähigkeit ohnehin der Natur näherstanden als der Mann war es naheliegend, dass ihnen die Rolle der Zwiespältigen, Unheilbringenden und Undurchschaubaren zugeschrieben wurde. Die Heilkunst der Kräuterfrauen wurde nach und nach in den Hintergrund gedrängt und verlor an Bedeutung.
Dies allein der christlichen Kirche zuzuschreiben wäre wohl
unfair, sie gelangte nur deshalb zu immer mehr Macht, weil das Volk dies zuließ
und die alten Götter durch den neuen Glauben ersetzte. Ich frage mich, was die
Menschen dazu brachte den Priestern und ihren Lehren mehr vertrauten als der
eigenen Geschichte? War es, weil dieser eine Gott einfacher zu verehren war,
als eine Vielzahl von Götter, die Aufmerksamkeit verlangten? War es, weil man
die Verantwortung für das eigene Leben diesem Gott übergeben konnte?
Mit dem Christentum
gelangten auch neue Heilpflanzen nach Nordeuropa, die als besonders heilkräftig
angesehen wurden, da sie direkt aus dem Heiligen Land kamen oder in der Bibel
Erwähnung fanden. Mönche und Nonnen bauten die neuen wie auch die alten
Heilpflanzen in Klostergärten an, doch fehlte das Wissen um den rechten
Standort oder den besten Erntezeitpunkt oder die geeigneten Rezepturen. Die Pflanzen
des Mittelmeers entfalteten in den kälteren Regionen nicht dieselbe Kraft wie
im Süden und kamen daher gegen die einheimischen Heilkräuter in ihrer
Wirksamkeit nicht an. Bei den einheimischen Heilpflanzen fehlte in der
Anwendung in der Klosterheilkunde der Kontext, das Ritual des Heilwerdens mit
dem die Kräuterfrauen ihre Heilanwendungen betrieben. Die traditionelle
Kräuterkunde der Frauen verordnete seltener einzelne Pflanzen als vielmehr
intelligent Entwickelte Rezepturen, bei der verschiedene Komponenten sich in
ihrer Wirkung unterstützten oder Nebenwirkungen unterdrückten. Sie nahmen die
Krankheit in anderen Zusammenhängen war, als die Kirche und konnten aus ihrer
Erfahrung heraus oft besser helfen als die Klostermedizin. Die Kirchenmänner
wurden misstrauisch und fürchteten um ihre Glaubwürdigkeit, wenn die Heilkunst
der Kräuterfrauen wirksamer war als ihre eigene. Sie nahm die bessere Wirksamkeit der
traditionellen Heilanwendungen auch zum Anlasse, den Kräuterfrauen Zauberei zu
unterstellen, damals eine Todsünde. So mussten die Kräuterfrauen sich mit ihrem
Wissen mehr und mehr verstecken und konnten oftmals auch nur heimlich
aufgesucht werden. Wehe, wenn sie dabei erwischt wurden oder wenn ein Kranker
nicht die Wirkung erhielt, die er sich erwünschte. Schnell war die Schuldige
gefunden, angeklagt und verurteilt.
Im 13. Jahrhundert
wurde der Ärzte- und Apothekerstand voneinander getrennt, Arzneimittelpreise
festgelegt und der Standort von Apotheken bestimmt. Der Beruf des Mediziners
durfte nur noch von Ärzten betrieben werden, die an den neu entstandenen
Universitäten studiert hatten.[1]
Das Studium selbst war nur Männern erlaubt. Die Tätigkeiten der Kräuterfrauen noch
mehr als zuvor illegal, allenfalls geduldet. Jahrhunderte altes Heilwissen der
Frauen wurde verdrängt und verboten, die alten Frau aus der Hecke, die
Hagezusse, wurden zur gefährlichen Hexe, die mit dem Teufel im Bunde steht. Das
über Generationen von Kräuterfrauen weitergegebene Wissen fand zwar teilweise
Eingang in die Bücher der Gelehrten, doch durch das bloße Aufschreiben fehlte
der Bezug. Nicht selten schlichen sich auch Übertragungsfehler ein, durch Missverständnisse oder schlecht lesbare
Handschriften und aufgrund der fehlenden einheitlichen Schriftsprache. So
hatten die alten Rezepte nicht die Wirksamkeit, die man erwartete, was wiederum
den guten Ruf der Kräuterfrauen schwächte. Wieder ein Grund mehr, ihnen Hexerei
und einen Teufelspakt zu unterstellen. Zwar waren immer noch viele Menschen vom
alten Wissen über Heilpflanzen und deren Anwendung abhängig, es gab nicht genügend Ärzte,
insbesondere außerhalb der Städte und wenn es diese gab, konnten sich nicht
alle deren Behandlung leisten.
Das Wissen der alten
Frau aus der Hecke wurde z. T. von den Klöstern überlagert und vermischte sich
mit der Klosterheilkunde. Ganz verdrängt wurde es nicht, doch stark verändert
und im neuen Bild der Kirche weiter angewandt. Hildegard von Bingen (1098 –
1179) ist das wohl bekannteste Beispiel der weiblichen Klosterheilkunde. Ihr
naturkundliches Werk die „Physica“ behandelt
nach der im Schöpfungsbericht beschriebenen Reihenfolge die Pflanzen,
Elemente, Bäume, Steine, Fische, Vögel, Tiere, Reptilien und Metalle, sie
erläutert deren Eigenschaften und ihren
Nutzen für den Menschen. In der „Cause et curae“ beschreibt sie eine Fülle
damals bekannter Krankheiten in Verbindung mit entsprechenden Therapien. Sie ist die einzige Frau der alten Zeit, von
der uns schriftliche Überlieferungen erhalten blieben. Doch zählt sie schon
nicht mehr zur Tradition der alten Kräuterfrauen, ihr Wirken war durch die
christliche Mythologie beeinflusst. Um die Macht der alten Götter, der Erkenntnisse
der neuen Völker und das Wissen der Kräuterfrauen zu unterminieren wurden deren
Bräuche verleugnet, als Hirngespinste abgetan und als sündig verteufelt. Oder
man machte diese lächerlich, nahm die Rituale nicht ernst und verspottete die,
die sie anwandten. Wo dies nicht gelang ging man dazu über, alte Bräuche zu
assimilieren. Die Gottheiten der alten Zeit ersetzte man durch neue sog.
Heilige. Alle guten Eigenschaften der weiblichen Gottheiten schrieb man Maria,
der Mutter Gottes, zu. Viele Rituale und Feste mit denen die alten Götter
verehrt wurden, fanden in veränderter Weise nun zu Ehren des neuen Gottes oder
der Gottesmutter statt. Flurprozessionen zu Christi Himmelfahrt oder die zu
Maria Himmelfahrt gesammelten Kräutersträuße oder das Aufstellen eines
Maibaumes erinnern bis heute an alte Jahreskreisrituale.
Ab dem15. Jahrhundert
veränderten einige Ereignisse die Welt erneut in erheblicher Weise. Der
Buchdruck ermöglichte nun, die Kräuterbücher auch in der Sprache des Volkes zu
veröffentlichen und mehr Menschen zugänglich zu machen. Damit verlor man die
Abhängigkeit vom mündlich überlieferten Wissen der Frauen. Mit der Entdeckung
des amerikanischen Kontinents schleppten die Seefahrer neue Krankheiten nach
Europa, gegen die hier „kein Kraut gewachsen war“, auch die Kräuterfrauen
standen dem meist machtlos gegenüber. Dazu kam die sog. kleine Eiszeit des 16.
Jahrhunderts in der Hungersnöte grassierten sowie die Bedrohung durch Machtgebaren
von weltlichen und kirchlichen Würdenträgern und der damit verbundenen Kriege. Nicht
zuletzt die oft unverständlichen Enddeckungen der aus fernen Ländern
heimkehrenden Seefahrer und der gerade florierenden Naturwissenschaften führten dazu, dass die Menschen in Angst
lebten und den Predigten der christlichen Priester mit ihren Heilsversprechen
ein leichtes Opfer waren. Aber auch in der weltlichen Regierung hatte die Frau
längst an Ansehen eingebüßt. Die bisher latent vorhandene Frauenverachtung
gepaart mit Vorstellungen von Dämonen und Zauberei im Kontext der Angst und des
Mangels, führten zur weiteren Diffamierung der Heilkundigen Frauen und ihren Kenntnissen.
Misslang nun die Heilung eines Kranken durch die Behandlung einer Kräuterfrau,
so wurde dies auf deren Zusammenarbeit mit dem Teufel in Verbindung gebracht.
War man der Auffassung, dass bei den wirtschaftlichen, persönlichen oder
klimatischen Schwierigkeiten, denen man ausgesetzt war, böse Mächte oder
schlechte Wünsche mit im Spiel waren, suchten die Menschen nach Schuldigen. Die
ehemals geschätzten Kräuterfrauen hatten Fähigkeiten, die das Handlungsspektrum
einfacher Menschen überstieg und gerieten damit in den Fokus der
Aufmerksamkeit. Die alte Heilkunst und Magie machte man zum erklärten Feind von
Kirche und Staat, die Heilerinnen wurden denunziert, verfolgt und bekämpft.
Im 14. Jahrhundert
erklärte man eine Frau, die sich anmaßte zu heilen ohne studiert zu haben, zur
Hexe. Die Inquisition, ehemals gegen Kirchengegner und Splittergruppen wie die
Katharer gerichtet, richtete sich nun gegen die Kräuterheilkundigen, Magie
betreibenden oder dem alten Glauben immer noch angehörenden. Hexenverfolgung
wurde zur Raserei, in der unzählige Menschen, zumeist Frauen, einen grausamen
Tod fanden. Traditionelle Kräutermedizin übte man nur noch heimlich aus und
jede, die diese praktizierte stand in Gefahr, entdeckt oder verraten zu werden
und damit der Willkür kirchlicher oder
weltlicher Gerichtsbarkeit ausgesetzt zu werden. Das einst offen weitergegebene
Wissen versteckte man daher in Märchen und Sagen, verlor so aber an
Eindeutigkeit, es bedurfte einiges an Interpretation, um das darin verborgene
Wissen zu erkennen.
Eine verheerend
grassierende neue Seuche war die Syphilis, „Morbus
Gallicus“ weil sie zuerst bei den aus Amerika zurückgekehrten französischen
Matrosen auftrat. Kein Kraut konnte helfen also griff man auf Quecksilber
zurück, einer Errungenschaft der arabischen Alchemie, gegen die Schmerzen wurde
Opium verabreicht. Die syphilitischen Symptome konnten dadurch teilweise
gebessert werden, so dass nahm die horrenden Nebenwirkungen in Kauf.
Schwermetalle und mineralische Gifte wie Antimon und Vitriol fanden Einzug in
die medizinische Behandlung, dies war wohl der Anfang moderner chemischer Medizin. [2]
Da die Krankheit auch bei flüchtigem sexuellem Kontakt übertragen werden
konnte, entstand ein Misstrauen zwischen den Geschlechtern. Frauen galten als
Überträgerinnen der Krankheit - ein Mann steckte sich bei der Frau an, nie
umgekehrt.[3]
Diese Sichtweise schlug sich auch im Bild der Heilkundigen Frauen nieder. Waren
auf der einen Seite die Menschen prüder im Umgang miteinander, die Frauen mussten
sich mehr in üppiger Kleidung verhüllen, unterstellte man andererseits den
Hexen sexuellen Umgang mit dem Teufel. Es ist bezeichnend, dass die
Foltermethoden häufig am nackten Frauenkörper vollzogen wurden, die äußerlichen
Geschlechtsmerkmale waren für Verbrennungen und Verstümmelungen besonders
beliebt. Die Inquisitoren aber auch die bildenden Künstler der Zeit wurden
nicht müde, die Hexe und deren sündige Praktiken in aller Ausführlichkeit zu
beschreiben. Auf mich wirkt das wie
Pornographie der schlimmsten Art – die
Priester selbst hatten sich dem Zölibat verschrieben und konnten nun, in der detaillierten
Beschreibung der Hexen und deren Praktiken im Umgang mit dem Teufel sowie in
den Folterungen, ihre unterdrückte Lust auf perverse Weise ausleben.
Das Bild der Frau hatte
sich nachhaltig verändert, sie galt mehr denn je als minderwertig, unwürdig, unwissend,
als Sünde bringende Verführerin. Das Wissen der Kräuterfrauen war fast
verloren, nur noch Bruchstücke davon konnten über die Zeit gerettet werden.
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