Dienstag, 25. November 2014

Kräuterweiber_3.Teil



Zeit des Vergessens  - Beifußzeit
Der nächste und weitaus nachhaltigere Wandel in der Gesellschaft und damit auch für das Wirken der Kräuterfrauen brachte die Christianisierung. Die Geschichten zu den Veränderungen, die dieser neue Glaube mit sich brachte, füllen ganze Bibliotheken. Jeder Geschichtsschreiber bringt dabei auch seine eigene Weltanschauung mit ein, jeder betrachtet die Auswirkungen aus einem anderen Blickwinkel. Insbesondere über die Hexenverfolgung, die in hohem Maße auch eine Verfolgung der alten Heilkunde und dem Wissen der Kräuterfrauen war, existiert eine Menge an Literatur. Ich werde hier nur einige Aspekte aus unterschiedlichen Epochen beleuchten, um den Rahmen nicht zu sprengen.  
Die bis zum Auftauchen der ersten christlichen Missionare in Nordeuropa verehrten weiblichen Gottheiten  galten als die Lebensspenderinnen, Erdmütter, Erntebringerinnen. Freya, Diana, Holle oder Hulda, Venus, Demeter um nur einige zu nennen wurden als Göttinnen verehrt und hatten ihren festen Platz im Leben der Menschen. Jede der Gottheiten wurde für ihren eigenen speziellen Wirkungskreis angerufen. Der neue Glaube an einen monotheistischen männlichen Gott  entsprang einer völlig anderen Kultur. In den Oasen der Wüsten beschränkte man sich auf einen einzigen, mächtigen, allein herrschenden männlichen Gott. Der neue Gott als Erlöser fand zunächst in den niedrigen Bevölkerungs-schichten Beachtung, erst als der größte Teil der Menschen den neuen Glauben angenommen hatte, wurde er zur Staatsreligion im Römischen Reich. Dem neuen Gott wurden die Rolle des Wohltäters, Allwissenden, Heilers zugeschrieben,  für die alten Götter blieben die negativen Eigenschaften, sie wurden zu menschenfeindlichen Dämonen erklärt. Der Glaube an nur einen männlichen Gott veränderte das Ansehen der Frauen im Allgemeinen und der heilkundigen Frau im Besonderen, die Auswirkungen sind bis heute zu spüren. Vom Beginn der missionarischen Tätigkeit an wurden die weisen Frauen diffamiert, die Kultur der weiblichen, kräuterkundigen Heilerinnen und die indigene, naturorientierte Lebensweise waren Rivalen im Kampf und die Seele.
Über einen langen Zeitraum blieben die heilkundigen Frauen – gerade in dünner besiedelten Gebieten - offen tätig, wenngleich oft im volkschristlichen Gewand. Sie sammelten weiterhin ihre Kräuter in der Hecke, im Wald und auf dem Feld, brauten ihre heilkräftigen Tränke und rührten Salben. Bis ins Mittelalter hinein waren sie die Trägerinnen alter Spiritualität Von diesen Frauen ist in den Geschichtsbüchern nichts geblieben, dennoch waren Sie für die körperliche und seelische Gesundheit der Menschen unersetzlich. Die Menschen brauchten die Kräuterfrauen  und verehrten weiterhin ihre Götter in den alten Naturritualen. Der neue Glaube floss zum Teil einfach in den alten mit ein, beides existierte miteinander. Bis ins 17. Jahrhundert stand in Köln ein Tempel der Venus genau so selbstverständlich wie eine christliche Kirche.
In den größeren Siedlungen verlegte man die Anbetung des neuen Gottes in feste Gebäude, in den Ritualen der christlichen Gottesdienste war kein Platz mehr für die Verehrung der Natur. Auch die Menschen lebten zunehmend hinter festen Mauern, viele Menschen zogen das vermeintlich einfachere Leben in den Städten dem harten Stand des Bauern vor. Die bisher gelebten Bräuche, die Natur und deren Wesenheiten, die alten Götter und das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen gerieten mehr und mehr in Vergessenheit.
Was man nicht mehr kennt, macht immer auch Angst, so mutierten die einst verehrten
(Pflanzen-)Geister zu Schreckgespenstern.  Krankheit galt nun als Strafe für schlechtes Benehmen und musste als solche angenommen werden, nur Reue konnte zur Heilung führen. Bußpraktiken und Wallfahrten – oft verbunden mit der Zahlung wirtschaftlicher Güter an die Kirche, florierten als Heilmittel. Wenn Heilung erlaubt war, dann höchstens durch einen der christlichen Prediger. Die Verwendung der über die Jahrhunderte erlangten Pflanzenheilkunde geriet in Verruf, heilkundige Frauen wurden nun als Wiedersacher des neuen Gottes als „göttlicher Arzt“ angesehen. Da sie in ihren Zyklen und in der Gebärfähigkeit ohnehin der Natur näherstanden als der Mann war es naheliegend, dass ihnen die Rolle der Zwiespältigen, Unheilbringenden und Undurchschaubaren zugeschrieben wurde. Die Heilkunst der Kräuterfrauen wurde nach und nach in den Hintergrund gedrängt und verlor an Bedeutung.
Dies allein der christlichen Kirche zuzuschreiben wäre wohl unfair, sie gelangte nur deshalb zu immer mehr Macht, weil das Volk dies zuließ und die alten Götter durch den neuen Glauben ersetzte. Ich frage mich, was die Menschen dazu brachte den Priestern und ihren Lehren mehr vertrauten als der eigenen Geschichte? War es, weil dieser eine Gott einfacher zu verehren war, als eine Vielzahl von Götter, die Aufmerksamkeit verlangten? War es, weil man die Verantwortung für das eigene Leben diesem Gott übergeben konnte?
Mit dem Christentum gelangten auch neue Heilpflanzen nach Nordeuropa, die als besonders heilkräftig angesehen wurden, da sie direkt aus dem Heiligen Land kamen oder in der Bibel Erwähnung fanden. Mönche und Nonnen bauten die neuen wie auch die alten Heilpflanzen in Klostergärten an, doch fehlte das Wissen um den rechten Standort oder den besten Erntezeitpunkt oder die geeigneten Rezepturen. Die Pflanzen des Mittelmeers entfalteten in den kälteren Regionen nicht dieselbe Kraft wie im Süden und kamen daher gegen die einheimischen Heilkräuter in ihrer Wirksamkeit nicht an. Bei den einheimischen Heilpflanzen fehlte in der Anwendung in der Klosterheilkunde der Kontext, das Ritual des Heilwerdens mit dem die Kräuterfrauen ihre Heilanwendungen betrieben. Die traditionelle Kräuterkunde der Frauen verordnete seltener einzelne Pflanzen als vielmehr intelligent Entwickelte Rezepturen, bei der verschiedene Komponenten sich in ihrer Wirkung unterstützten oder Nebenwirkungen unterdrückten. Sie nahmen die Krankheit in anderen Zusammenhängen war, als die Kirche und konnten aus ihrer Erfahrung heraus oft besser helfen als die Klostermedizin. Die Kirchenmänner wurden misstrauisch und fürchteten um ihre Glaubwürdigkeit, wenn die Heilkunst der Kräuterfrauen wirksamer war als ihre eigene. Sie  nahm die bessere Wirksamkeit der traditionellen Heilanwendungen auch zum Anlasse, den Kräuterfrauen Zauberei zu unterstellen, damals eine Todsünde. So mussten die Kräuterfrauen sich mit ihrem Wissen mehr und mehr verstecken und konnten oftmals auch nur heimlich aufgesucht werden. Wehe, wenn sie dabei erwischt wurden oder wenn ein Kranker nicht die Wirkung erhielt, die er sich erwünschte. Schnell war die Schuldige gefunden, angeklagt und verurteilt.
Im 13. Jahrhundert wurde der Ärzte- und Apothekerstand voneinander getrennt, Arzneimittelpreise festgelegt und der Standort von Apotheken bestimmt. Der Beruf des Mediziners durfte nur noch von Ärzten betrieben werden, die an den neu entstandenen Universitäten studiert hatten.[1] Das Studium selbst war nur Männern erlaubt. Die Tätigkeiten der Kräuterfrauen noch mehr als zuvor illegal, allenfalls geduldet. Jahrhunderte altes Heilwissen der Frauen wurde verdrängt und verboten, die alten Frau aus der Hecke, die Hagezusse, wurden zur gefährlichen Hexe, die mit dem Teufel im Bunde steht. Das über Generationen von Kräuterfrauen weitergegebene Wissen fand zwar teilweise Eingang in die Bücher der Gelehrten, doch durch das bloße Aufschreiben fehlte der Bezug. Nicht selten schlichen sich auch Übertragungsfehler ein,  durch Missverständnisse oder schlecht lesbare Handschriften und aufgrund der fehlenden einheitlichen Schriftsprache. So hatten die alten Rezepte nicht die Wirksamkeit, die man erwartete, was wiederum den guten Ruf der Kräuterfrauen schwächte. Wieder ein Grund mehr, ihnen Hexerei und einen Teufelspakt zu unterstellen. Zwar waren immer noch viele Menschen vom alten Wissen über Heilpflanzen und deren Anwendung  abhängig, es gab nicht genügend Ärzte, insbesondere außerhalb der Städte und wenn es diese gab, konnten sich nicht alle deren Behandlung leisten.
Das Wissen der alten Frau aus der Hecke wurde z. T. von den Klöstern überlagert und vermischte sich mit der Klosterheilkunde. Ganz verdrängt wurde es nicht, doch stark verändert und im neuen Bild der Kirche weiter angewandt. Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ist das wohl bekannteste Beispiel der weiblichen Klosterheilkunde. Ihr naturkundliches Werk die „Physica“ behandelt  nach der im Schöpfungsbericht beschriebenen Reihenfolge die Pflanzen, Elemente, Bäume, Steine, Fische, Vögel, Tiere, Reptilien und Metalle, sie erläutert  deren Eigenschaften und ihren Nutzen für den Menschen. In der „Cause et curae“ beschreibt sie eine Fülle damals bekannter Krankheiten in Verbindung mit entsprechenden Therapien.  Sie ist die einzige Frau der alten Zeit, von der uns schriftliche Überlieferungen erhalten blieben. Doch zählt sie schon nicht mehr zur Tradition der alten Kräuterfrauen, ihr Wirken war durch die christliche Mythologie beeinflusst. Um die Macht der alten Götter, der Erkenntnisse der neuen Völker und das Wissen der Kräuterfrauen zu unterminieren wurden deren Bräuche verleugnet, als Hirngespinste abgetan und als sündig verteufelt. Oder man machte diese lächerlich, nahm die Rituale nicht ernst und verspottete die, die sie anwandten. Wo dies nicht gelang ging man dazu über, alte Bräuche zu assimilieren. Die Gottheiten der alten Zeit ersetzte man durch neue sog. Heilige. Alle guten Eigenschaften der weiblichen Gottheiten schrieb man Maria, der Mutter Gottes, zu. Viele Rituale und Feste mit denen die alten Götter verehrt wurden, fanden in veränderter Weise nun zu Ehren des neuen Gottes oder der Gottesmutter statt. Flurprozessionen zu Christi Himmelfahrt oder die zu Maria Himmelfahrt gesammelten Kräutersträuße oder das Aufstellen eines Maibaumes erinnern bis heute an alte Jahreskreisrituale.

Ab dem15. Jahrhundert veränderten einige Ereignisse die Welt erneut in erheblicher Weise. Der Buchdruck ermöglichte nun, die Kräuterbücher auch in der Sprache des Volkes zu veröffentlichen und mehr Menschen zugänglich zu machen. Damit verlor man die Abhängigkeit vom mündlich überlieferten Wissen der Frauen. Mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents schleppten die Seefahrer neue Krankheiten nach Europa, gegen die hier „kein Kraut gewachsen war“, auch die Kräuterfrauen standen dem meist machtlos gegenüber. Dazu kam die sog. kleine Eiszeit des 16. Jahrhunderts in der Hungersnöte grassierten sowie die Bedrohung durch Machtgebaren von weltlichen und kirchlichen Würdenträgern und der damit verbundenen Kriege. Nicht zuletzt die oft unverständlichen Enddeckungen der aus fernen Ländern heimkehrenden Seefahrer und der gerade florierenden Naturwissenschaften  führten dazu, dass die Menschen in Angst lebten und den Predigten der christlichen Priester mit ihren Heilsversprechen ein leichtes Opfer waren. Aber auch in der weltlichen Regierung hatte die Frau längst an Ansehen eingebüßt. Die bisher latent vorhandene Frauenverachtung gepaart mit Vorstellungen von Dämonen und Zauberei im Kontext der Angst und des Mangels, führten zur weiteren Diffamierung der Heilkundigen Frauen und ihren Kenntnissen. Misslang nun die Heilung eines Kranken durch die Behandlung einer Kräuterfrau, so wurde dies auf deren Zusammenarbeit mit dem Teufel in Verbindung gebracht. War man der Auffassung, dass bei den wirtschaftlichen, persönlichen oder klimatischen Schwierigkeiten, denen man ausgesetzt war, böse Mächte oder schlechte Wünsche mit im Spiel waren, suchten die Menschen nach Schuldigen. Die ehemals geschätzten Kräuterfrauen hatten Fähigkeiten, die das Handlungsspektrum einfacher Menschen überstieg und gerieten damit in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die alte Heilkunst und Magie machte man zum erklärten Feind von Kirche und Staat, die Heilerinnen wurden denunziert, verfolgt und bekämpft.
Im 14. Jahrhundert erklärte man eine Frau, die sich anmaßte zu heilen ohne studiert zu haben, zur Hexe. Die Inquisition, ehemals gegen Kirchengegner und Splittergruppen wie die Katharer gerichtet, richtete sich nun gegen die Kräuterheilkundigen, Magie betreibenden oder dem alten Glauben immer noch angehörenden. Hexenverfolgung wurde zur Raserei, in der unzählige Menschen, zumeist Frauen, einen grausamen Tod fanden. Traditionelle Kräutermedizin übte man nur noch heimlich aus und jede, die diese praktizierte stand in Gefahr, entdeckt oder verraten zu werden und damit der Willkür  kirchlicher oder weltlicher Gerichtsbarkeit ausgesetzt zu werden. Das einst offen weitergegebene Wissen versteckte man daher in Märchen und Sagen, verlor so aber an Eindeutigkeit, es bedurfte einiges an Interpretation, um das darin verborgene Wissen zu erkennen.
Eine verheerend grassierende neue Seuche war die Syphilis, „Morbus Gallicus“ weil sie zuerst bei den aus Amerika zurückgekehrten französischen Matrosen auftrat. Kein Kraut konnte helfen also griff man auf Quecksilber zurück, einer Errungenschaft der arabischen Alchemie, gegen die Schmerzen wurde Opium verabreicht. Die syphilitischen Symptome konnten dadurch teilweise gebessert werden, so dass nahm die horrenden Nebenwirkungen in Kauf. Schwermetalle und mineralische Gifte wie Antimon und Vitriol fanden Einzug in die medizinische Behandlung, dies war wohl der  Anfang moderner chemischer Medizin. [2] Da die Krankheit auch bei flüchtigem sexuellem Kontakt übertragen werden konnte, entstand ein Misstrauen zwischen den Geschlechtern. Frauen galten als Überträgerinnen der Krankheit - ein Mann steckte sich bei der Frau an, nie umgekehrt.[3] Diese Sichtweise schlug sich auch im Bild der Heilkundigen Frauen nieder. Waren auf der einen Seite die Menschen prüder im Umgang miteinander, die Frauen mussten sich mehr in üppiger Kleidung verhüllen, unterstellte man andererseits den Hexen sexuellen Umgang mit dem Teufel. Es ist bezeichnend, dass die Foltermethoden häufig am nackten Frauenkörper vollzogen wurden, die äußerlichen Geschlechtsmerkmale waren für Verbrennungen und Verstümmelungen besonders beliebt. Die Inquisitoren aber auch die bildenden Künstler der Zeit wurden nicht müde, die Hexe und deren sündige Praktiken in aller Ausführlichkeit zu beschreiben. Auf mich wirkt das wie Pornographie der schlimmsten Art  – die Priester selbst hatten sich dem Zölibat verschrieben und konnten nun, in der detaillierten Beschreibung der Hexen und deren Praktiken im Umgang mit dem Teufel sowie in den Folterungen, ihre unterdrückte Lust auf perverse Weise ausleben.
Das Bild der Frau hatte sich nachhaltig verändert, sie galt mehr denn je als minderwertig, unwürdig, unwissend, als Sünde bringende Verführerin. Das Wissen der Kräuterfrauen war fast verloren, nur noch Bruchstücke davon konnten über die Zeit gerettet werden.




[1] (Bühring, 2011)
[2] (Storl, 1998)
[3] (Storl, 2010)

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