Donnerstag, 6. November 2014

Kräuterweiber_1. Teil

es ist wahrhaftig mehr als ein Jahr her, dass ich hier ein paar Zeilen veröffentlichte. Das Kräuterweib ist jetzt Oma und hat viel Zeit mit dem Enkel verbracht. Das werd ich auch künftig tun, dennoch soll es hier wieder öfter was zu Lesen geben.
Letztes Jahr hab ich die Ausbildung zur Heilkräuter-Fachfrau in der Freiburger Heilpflanzenschule absolviert und am Ende dieser Ausbildung darf Frau eine Abschlussarbeit schreiben. Meine handelt von der Tradition der Kräuterfrauen und ich werde die Arbeit hier nach und nach veröffentlichen.
Kapitel eins:




Zeit des Erwachens  - Heckenzeit

Als in der frühen Steinzeit das Eis der letzten Eiszeit geschmolzen war und die Bäume allmählich die Erde eroberten verlagerte sich das Jagen der Männer auf kleinere Tiere und wurde in den wachsenden Wäldern zunehmend schwieriger. Früchte, Samen und Wurzeln gewannen an Bedeutung für das Überleben der Sippe. Da innerhalb der natürlichen Arbeitsteilung der Naturvölker diese Arbeit vor allem Frauen zufiel, gewann auch deren Arbeit zunehmend an Gewicht.
Ob absichtlich gepflanzt oder wild gewachsen, zwischen den Feldern der jungsteinzeitlichen Hackbauern und dem wilden Wald der Jäger und Sammler entstand die erste Schutzhecke aus dornigem Gestrüpp wie Brombeeren, Wildrosen,  Berbertitze, Weißdorn und Schwarzdorn und schnellwüchsigem Heckengehölze wie Eberesche oder Holunder.  Sie wurde immer dichter, je mehr die Tiere daran fraßen und bildete einen wirksamen Schutz für die Tiere, die Kulturpflanzen und die Menschen, die innerhalb dieser kleinen Insel im großen Wald lebten. Die Ernte und der Viehbestand waren bedroht durch die noch im Wald umherstreifenden Jäger, Raubtiere aber auch durch die Geister jenseits der schützenden Hecke. Doch bot die Hecke nicht nur Schutz, hier fand man Früchte und Beeren als Nahrung und Kräuter für Nahrungs-, Heil- und Ritualzwecke. Die Hecke bildet den Übergang zwischen dieser frühzeitlichen, einfachen Zivilisation und der Wildnis. Der Hag markierte den Herrschaftsbereich der Haus- und Sippengeister. Innerhalb des Hags konnte man sich sicher – beHAGlich - fühlen. Hier konnte man auch ruhig schlafen. „Von der Sicherheit, Dichte und Festigkeit dieser lebenden Dornenhecke war die Tiefe eines ruhigen Schlafes für Mensch und Haustier abhängig“[1].  Später wurde aus der Hecke ein Zaun und dann die Mauer, die den eigenen Bereich wie ein Schutzkreis umgab. Ringe, Ketten und Gürtel sind Erinnerungen an diesen Schutzkreis und wurden dafür angelegt, mit Schützenden Ritualen gereinigt und gesegnet.


Es waren die Frauen, die wussten, welche Pflanzen nahrhaft oder heilkräftig sind - sei es durch die Erfahrung, das Ausprobieren, zufällige Entdeckung oder sicherlich auch aus der Verbundenheit mit der Natur und dem natürlichen Umgang mit dem Wesen der Pflanzen. Der Mensch war abhängig von einer guten Ernte und verband diese mit dem Wohlgesonnen-Sein der Naturgeister. Mutter Erde und die Pflanzenwelt wurden als Nahrungs- und Lebensspendend verehrt, diese galten als genau so beseelt wie die Menschen (auch wenn „Seele“ eine Erfindung späterer Kulturen ist). Jede Sippe hatte ihre eigene Weise, diesen Naturgeistern und Göttinnen Namen zu geben und sie zu verehren. In den Feiern des Jahreskreises verehrte man diese Götter und bat Sie um ihren Segen für Saat und Ernte, um Gesundheit und Schutz. Magische und heilkräftige Pflanzen spielten bei diesen Feiern eine wichtige Rolle, viele Pflanzen waren bestimmten Gottheiten zugeordnet und indem man die Pflanze für ein Ritual verwandte, war auch die dazugehörige Gottheit „im Spiel“. Der Umgang mit der Pflanzenwelt wahr eher den Frauen zugeordnet und so ist es nachvollziehbar, dass insbesondere weibliche Gottheiten für das Überleben der Sippe angerufen wurden und dass Frauen einen hohen Stand innerhalb der Gemeinschaft hatten. Manche Kulturhistoriker gehen davon aus, dass in der Zeit eine matriarchalische Gesellschaftsform gelebt wurde. Genauso wurde schon vermutet, dass der Ursprung mancher Göttin in realen Frauen zu finden ist, die sich `als Bildnerinnen der Natur und als Schützerinnen des Lebens und der Gesundheit` hervortaten und von den Menschen durch deren Verehrung zu unsterblichen Göttinnen erhoben wurden. [2]
In jener Kultur kam gerade auch der älteren Frau eine Position der Stärke zu; Lebenserfahrung und Reife zählen als Werte, die man sich nur mit den Jahren erwerben konnte. Die Frauen waren es, die ihre Zeit in der Hecke verbrachten, dort heilkräftige Kräuter, Wurzeln und Beeren sammelten und mit den Geistern und Göttern auf beiden Seiten der Grenze in Kontakt standen.  Ältere Frauen waren es, die die physische und metaphysische Zwischenwelt der Hecke nicht scheuten, so wie in indigenen Kulturen heute noch die Zwischenwelt die Welt der Frauen in Übergangszeiten ist (Menstruation, Schwangerschaft, Klimakterium oder auf der Schwelle zum Tod). Die Kräuterfrauen pflegten den natürlichen Umgang mit der beseelten Welt in der Hecke. Sie selbst waren wie Zwischenwesen, die die Grenzen der Zivilisation und des Alltags, die Grenzen der Wahrnehmung überschritten. In der Kommunikation mit Pflanzen und Tieren und deren Seelen waren sie aufs innigste mit der Natur verbunden. Im Konglomerat aus Intuition, Spiritualität und dem Wissen aus Erfahrung und Beobachtung lernten die Kräuterfrauen die Pflanzen und deren Wirkungen auf Körper und Geist kennen. So wie ein Menschenkenner durch das genaue Betrachten von Mimik und Gestik und der Ausstrahlung eines Menschen zutreffende Rückschlüsse auf die Charaktereigenschaften eines Menschen schließen kann, verstanden die Kräuterfrauen anhand Wuchsformen, Standort, Geruch, Geschmack, Blütezeitpunkt usw. Rückschlüsse auf deren Charakter und damit deren Heilwirkung ziehen. 



Diese Kräuterfrauen waren es, die die Heilpflanzen und Anwendungen für verschiedene Krankheiten kannten. Die Frauen in der Hecke waren die weisen Frauen, die von den jüngeren um Rat gefragt, wenn eine Krankheit oder eine Verletzung behandelt werden musste.
Die Betrachtung des Menschen in seinem Umfeld spielte in der Behandlung von Krankheiten eine große Rolle. Gesund werden geschah weniger durch den Einsatz von Mittelchen und Pülverchen, es war ein ganzheitlicher Prozess, Gesund werden nahm Zeit in Anspruch und erfordert ein hohes Maß an Bereitschaft dazu. Die Medizin der damaligen Zeit war im Kontext der Umwelt und der Gemeinschaft zu sehen. Nicht ein isoliertes Organ war erkrankt, sondern der Mensch als ganzes und so wurde auch behandelt -  mit wirksamen Kräutern, mit Ritualen wie z. B. Räucherungen, Tänzen, Gesängen und mit magischen Praktiken, die Anwendung dieser Heilmittel geschah im festgelegten Rhythmus des Tages oder des Mondes. Auch die Entnahme der Pflanzen geschah nach strengen Vorschriften, unter Einbeziehung der Mondphasen oder der Tageszeit. Die Frauen mussten sich auf die Ernte vorbereiten und führten z. B. rituelle Bäder durch bevor sie in die Natur gingen oder sie gingen nackt, mindestens aber Barfuß. Die Pflanzen wurden auf vorgeschriebene Weise ausgegraben,  zur vorgegebenen Tages- oder Nachtzeit und im rechten Raum oder Behältnis gelagert. Die Kräuterfrauen kannten die genaue  Zubereitung jeder Pflanze und achteten auch bei der Zubereitung auf die Einhaltung bestimmter Regeln, wie das Rühren eines Suds in eine bestimmte Richtung. Der Ablauf dieser Rituale ist nur bruchstückhaft erhalten geblieben und wird meist nicht mehr als solches erkannt: Das Einnehmen moderner Medizin dreimal am Tag wird eher mit den Mahlzeiten in Verbindung gebracht als mit magischen Übergangszeiten, die die Heilkraft unterstützen.
Dise Kräuterheilerinnen gaben ihren großen Schatz an Wissen mündlich  an die nächste Generation weiter. Junge Frauen lernte sowohl von den erfahrenen Kräuterfrauen, sie machten auch ihre eigenen Erfahrungen und erweiterten so mehr und mehrdie Kenntnisse über die Heilkraft der Pflanzen und deren Anwendung.
Es wäre eine romantische Fehleinschätzung zu glauben,  dass jede Erkrankung mit Hilfe dieser Praktiken geheilt werden konnte. Das Leben war hart und viele sind an ihren Gebrechen gestorben. Ich vermute, dass auch damals die Gabe der Heilung eben dies, eine Gabe war. Wenngleich die Verbundenheit mit der Natur insgesamt enger und auf einer anderen Ebene stattfand konnte nicht jeder in gleichem Maße mit den Pflanzen kommunizierte. Eher gab es Frauen, die einen besonderen Zugang zur Heilkunde hatten und daher einen besonderen Stand innerhalb der Gemeinschaft einnahmen. Ich vermute, dass die älteren Frauen auch größere Kinder auf der Schwelle zum Erwachsenwerden mit in die Hecke nahmen, während die Erwachsenen auf dem Feld arbeiteten oder auf der Jagd waren. Die ganz Kleinen waren von der Mutter abhängig und wurden von ihr Betreut. Der Schritt vom Mädchen zur Frau ist ebenso eine Übergangszeit wie von der Erwachsenenzeit ins Alter. Eine Zwischenzeit, in der man offen ist für die Zwischenwelt in der Hecke. Es waren Kinder und alte Menschen weniger in den arbeitsintensiven Alltag eingebunden und konnten  sich eher mit philosophischem, intuitivem oder andersweltlichen Gedanken auseinandersetzten. 

In den nachfolgenden „Generationen“ der Kelten und Germanen behielt die Kräuterfrau ihren Platz in der Gesellschaft, ihr Heilwissen war unersetzlich. Auch wenn das Druidentum an Bedeutung gewann, war deren Aufgabe in hohem Maße auch politischer Natur, die Ausbildung dauerte sehr lange und war nur für auserwählte Personen zugänglich. Heilkundigen Frauen hingegen erlernten ihre Kenntnisse von klein auf und ließen diese vermutlich oft eher unbemerkt im Alltag mit einfließen,  wenn sie das Essen und die Tränke mit heilsamen Kräutern würzten und Wunden mit Kräutern, Salben, Bädern und Heilritualen behandelten. Sie wandten das generationenalte Wissen von Frauen in ihrem Wirken ganz selbstverständlich an und lehrten es im Alltag ihren weiblichen Nachkommen.   Das über die Jahrtausende erlange Wissen umfasste detaillierte Pflanzenkenntnisse, Sicherheit über Standortwissen, Wachstumsrhythmen, pharmakologische Eigenschaften und deren Wirkung auf die Seele.
Durch die Eroberung der keltischen Länder durch das römische Imperium, dem Einfall slawischer Völker aus dem Osten, der Völkerwanderung und nicht zuletzt dem Missionierungsdruck der gerade aufkeimenden christlichen Kirche wurde ein Paradigmenwechsel in Gang gesetzt, der immense Auswirkungen auf die Stellung der Frau und damit auch deren Heilkunde hatte.
Für mich, in einer rationalen, patriarchalischen, christlich geprägten Welt sozialisierten Frau des 21. Jahrhunderts, schulmedizinisch beeinflusst,  ist es nur schwer vorstellbar, wie der Austausch mit der Natur, den Pflanzen und den ursprünglichen Göttern konkret stattfand. War die Kommunikation mit der Natur etwas, das eine Generation von der andren lernte? Vielleicht ist ZEIT ein entscheidender Faktor. Wann nehme ich mir in meinem Alltag die Zeit, mich in die Natur zu begeben und dort an einem Platz zu Verweilen, zu Hören, zu Fühlen und die Gedanken abzuschalten. Womöglich ist Rückzug und Innehalten bei der Suche nach dem Wissen der Vergangenheit der Beste Weg nach vorne.
Ist das alte Wissen verloren oder sind nicht doch einige der als esoterisch bezeichneten Lehren die Erinnerung an altes Wissen? Mir scheint, dass die Hinwendung zu Lehren aus dem asiatischen Raum oder dem der amerikanischen Ureinwohner eine Suche nach den eigenen, verloren gegangenen Wurzeln ist.  Die Suche nach dem Wissen der Frau in der Hecke.


[1] (Höfler, 1908 (Reprint aus 1990))




[2] (Harlefs, 1830)

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