Letztes Jahr hab ich die Ausbildung zur Heilkräuter-Fachfrau in der Freiburger Heilpflanzenschule absolviert und am Ende dieser Ausbildung darf Frau eine Abschlussarbeit schreiben. Meine handelt von der Tradition der Kräuterfrauen und ich werde die Arbeit hier nach und nach veröffentlichen.
Kapitel eins:
Zeit des Erwachens - Heckenzeit
Als in der frühen
Steinzeit das Eis der letzten Eiszeit geschmolzen war und die Bäume allmählich
die Erde eroberten verlagerte sich das Jagen der Männer auf kleinere Tiere und
wurde in den wachsenden Wäldern zunehmend schwieriger. Früchte, Samen und
Wurzeln gewannen an Bedeutung für das Überleben der Sippe. Da innerhalb der
natürlichen Arbeitsteilung der Naturvölker diese Arbeit vor allem Frauen
zufiel, gewann auch deren Arbeit zunehmend an Gewicht.
Ob absichtlich
gepflanzt oder wild gewachsen, zwischen den Feldern der jungsteinzeitlichen
Hackbauern und dem wilden Wald der Jäger und Sammler entstand die erste
Schutzhecke aus dornigem Gestrüpp wie Brombeeren, Wildrosen, Berbertitze, Weißdorn und Schwarzdorn und
schnellwüchsigem Heckengehölze wie Eberesche oder Holunder. Sie wurde immer dichter, je mehr die Tiere
daran fraßen und bildete einen wirksamen Schutz für die Tiere, die Kulturpflanzen
und die Menschen, die innerhalb dieser kleinen Insel im großen Wald lebten. Die
Ernte und der Viehbestand waren bedroht durch die noch im Wald umherstreifenden
Jäger, Raubtiere aber auch durch die Geister jenseits der schützenden Hecke.
Doch bot die Hecke nicht nur Schutz, hier fand man Früchte und Beeren als Nahrung
und Kräuter für Nahrungs-, Heil- und Ritualzwecke. Die Hecke bildet den
Übergang zwischen dieser frühzeitlichen, einfachen Zivilisation und der
Wildnis. Der Hag markierte den Herrschaftsbereich der Haus- und Sippengeister.
Innerhalb des Hags konnte man sich sicher – beHAGlich - fühlen. Hier konnte man
auch ruhig schlafen. „Von der Sicherheit, Dichte und Festigkeit dieser lebenden
Dornenhecke war die Tiefe eines ruhigen Schlafes für Mensch und Haustier
abhängig“[1]. Später
wurde aus der Hecke ein Zaun und dann die Mauer, die den eigenen Bereich wie
ein Schutzkreis umgab. Ringe, Ketten und Gürtel sind Erinnerungen an diesen
Schutzkreis und wurden dafür angelegt, mit Schützenden Ritualen gereinigt und
gesegnet.
Es waren die Frauen,
die wussten, welche Pflanzen nahrhaft oder heilkräftig sind - sei es durch die
Erfahrung, das Ausprobieren, zufällige Entdeckung oder sicherlich auch aus der
Verbundenheit mit der Natur und dem natürlichen Umgang mit dem Wesen der Pflanzen.
Der Mensch war abhängig von einer guten Ernte und verband diese mit dem
Wohlgesonnen-Sein der Naturgeister. Mutter Erde und die Pflanzenwelt wurden als
Nahrungs- und Lebensspendend verehrt, diese galten als genau so beseelt wie die
Menschen (auch wenn „Seele“ eine Erfindung späterer Kulturen ist). Jede Sippe
hatte ihre eigene Weise, diesen Naturgeistern und Göttinnen Namen zu geben und
sie zu verehren. In den Feiern des Jahreskreises verehrte man diese Götter und
bat Sie um ihren Segen für Saat und Ernte, um Gesundheit und Schutz. Magische
und heilkräftige Pflanzen spielten bei diesen Feiern eine wichtige Rolle, viele
Pflanzen waren bestimmten Gottheiten zugeordnet und indem man die Pflanze für
ein Ritual verwandte, war auch die dazugehörige Gottheit „im Spiel“. Der Umgang
mit der Pflanzenwelt wahr eher den Frauen zugeordnet und so ist es
nachvollziehbar, dass insbesondere weibliche Gottheiten für das Überleben der
Sippe angerufen wurden und dass Frauen einen hohen Stand innerhalb der
Gemeinschaft hatten. Manche Kulturhistoriker gehen davon aus, dass in der Zeit
eine matriarchalische Gesellschaftsform gelebt wurde. Genauso wurde schon
vermutet, dass der Ursprung mancher Göttin in realen Frauen zu finden ist, die sich
`als Bildnerinnen der Natur und als Schützerinnen des Lebens und der
Gesundheit` hervortaten und von den Menschen durch deren Verehrung zu
unsterblichen Göttinnen erhoben wurden. [2]
In jener Kultur kam gerade
auch der älteren Frau eine Position der Stärke zu; Lebenserfahrung und Reife
zählen als Werte, die man sich nur mit den Jahren erwerben konnte. Die Frauen waren
es, die ihre Zeit in der Hecke verbrachten, dort heilkräftige Kräuter, Wurzeln und
Beeren sammelten und mit den Geistern und Göttern auf beiden Seiten der Grenze
in Kontakt standen. Ältere Frauen waren
es, die die physische und metaphysische Zwischenwelt der Hecke nicht scheuten,
so wie in indigenen Kulturen heute noch die Zwischenwelt die Welt der Frauen in
Übergangszeiten ist (Menstruation, Schwangerschaft, Klimakterium oder auf der
Schwelle zum Tod). Die Kräuterfrauen pflegten den natürlichen Umgang mit der
beseelten Welt in der Hecke. Sie selbst waren wie Zwischenwesen, die die
Grenzen der Zivilisation und des Alltags, die Grenzen der Wahrnehmung
überschritten. In der Kommunikation mit Pflanzen und Tieren und deren Seelen
waren sie aufs innigste mit der Natur verbunden. Im Konglomerat aus Intuition,
Spiritualität und dem Wissen aus Erfahrung und Beobachtung lernten die
Kräuterfrauen die Pflanzen und deren Wirkungen auf Körper und Geist kennen. So
wie ein Menschenkenner durch das genaue Betrachten von Mimik und Gestik und der
Ausstrahlung eines Menschen zutreffende Rückschlüsse auf die
Charaktereigenschaften eines Menschen schließen kann, verstanden die
Kräuterfrauen anhand Wuchsformen, Standort, Geruch, Geschmack, Blütezeitpunkt
usw. Rückschlüsse auf deren Charakter und damit deren Heilwirkung ziehen.
Diese Kräuterfrauen
waren es, die die Heilpflanzen und Anwendungen für verschiedene Krankheiten
kannten. Die Frauen in der Hecke waren die weisen Frauen, die von den jüngeren
um Rat gefragt, wenn eine Krankheit oder eine Verletzung behandelt werden
musste.
Die Betrachtung des
Menschen in seinem Umfeld spielte in der Behandlung von Krankheiten eine große
Rolle. Gesund werden geschah weniger durch den Einsatz von Mittelchen und
Pülverchen, es war ein ganzheitlicher Prozess, Gesund werden nahm Zeit in
Anspruch und erfordert ein hohes Maß an Bereitschaft dazu. Die Medizin der
damaligen Zeit war im Kontext der Umwelt und der Gemeinschaft zu sehen. Nicht
ein isoliertes Organ war erkrankt, sondern der Mensch als ganzes und so wurde
auch behandelt - mit wirksamen Kräutern,
mit Ritualen wie z. B. Räucherungen, Tänzen, Gesängen und mit magischen
Praktiken, die Anwendung dieser Heilmittel geschah im festgelegten Rhythmus des
Tages oder des Mondes. Auch die Entnahme der Pflanzen geschah nach strengen
Vorschriften, unter Einbeziehung der Mondphasen oder der Tageszeit. Die Frauen
mussten sich auf die Ernte vorbereiten und führten z. B. rituelle Bäder durch
bevor sie in die Natur gingen oder sie gingen nackt, mindestens aber Barfuß.
Die Pflanzen wurden auf vorgeschriebene Weise ausgegraben, zur vorgegebenen Tages- oder Nachtzeit und im
rechten Raum oder Behältnis gelagert. Die Kräuterfrauen kannten die genaue Zubereitung jeder Pflanze und achteten auch
bei der Zubereitung auf die Einhaltung bestimmter Regeln, wie das Rühren eines
Suds in eine bestimmte Richtung. Der Ablauf dieser Rituale ist nur
bruchstückhaft erhalten geblieben und wird meist nicht mehr als solches
erkannt: Das Einnehmen moderner Medizin dreimal am Tag wird eher mit den
Mahlzeiten in Verbindung gebracht als mit magischen Übergangszeiten, die die
Heilkraft unterstützen.
Dise
Kräuterheilerinnen gaben ihren großen Schatz an Wissen mündlich an die nächste Generation weiter. Junge Frauen
lernte sowohl von den erfahrenen Kräuterfrauen, sie machten auch ihre eigenen
Erfahrungen und erweiterten so mehr und mehrdie Kenntnisse über die Heilkraft
der Pflanzen und deren Anwendung.
Es
wäre eine romantische Fehleinschätzung zu glauben, dass jede Erkrankung mit Hilfe dieser
Praktiken geheilt werden konnte. Das Leben war hart und viele sind an ihren
Gebrechen gestorben. Ich vermute, dass auch damals die Gabe der Heilung eben
dies, eine Gabe war. Wenngleich die Verbundenheit mit der Natur insgesamt enger
und auf einer anderen Ebene stattfand konnte nicht jeder in gleichem Maße mit
den Pflanzen kommunizierte. Eher gab es Frauen, die einen besonderen Zugang zur
Heilkunde hatten und daher einen besonderen Stand innerhalb der Gemeinschaft
einnahmen. Ich vermute, dass die älteren Frauen auch größere Kinder auf der
Schwelle zum Erwachsenwerden mit in die Hecke nahmen, während die Erwachsenen
auf dem Feld arbeiteten oder auf der Jagd waren. Die ganz Kleinen waren von der
Mutter abhängig und wurden von ihr Betreut. Der Schritt vom Mädchen zur Frau
ist ebenso eine Übergangszeit wie von der Erwachsenenzeit ins Alter. Eine
Zwischenzeit, in der man offen ist für die Zwischenwelt in der Hecke. Es waren
Kinder und alte Menschen weniger in den arbeitsintensiven Alltag eingebunden
und konnten sich eher mit
philosophischem, intuitivem oder andersweltlichen Gedanken auseinandersetzten.
In den nachfolgenden
„Generationen“ der Kelten und Germanen behielt die Kräuterfrau ihren Platz in der
Gesellschaft, ihr Heilwissen war unersetzlich. Auch wenn das Druidentum an
Bedeutung gewann, war deren Aufgabe in hohem Maße auch politischer Natur, die
Ausbildung dauerte sehr lange und war nur für auserwählte Personen zugänglich.
Heilkundigen Frauen hingegen erlernten ihre Kenntnisse von klein auf und ließen
diese vermutlich oft eher unbemerkt im Alltag mit einfließen, wenn sie das Essen und die Tränke mit
heilsamen Kräutern würzten und Wunden mit Kräutern, Salben, Bädern und
Heilritualen behandelten. Sie wandten das generationenalte Wissen von Frauen in
ihrem Wirken ganz selbstverständlich an und lehrten es im Alltag ihren
weiblichen Nachkommen. Das über die
Jahrtausende erlange Wissen umfasste detaillierte Pflanzenkenntnisse,
Sicherheit über Standortwissen, Wachstumsrhythmen, pharmakologische
Eigenschaften und deren Wirkung auf die Seele.
Durch die Eroberung
der keltischen Länder durch das römische Imperium, dem Einfall slawischer
Völker aus dem Osten, der Völkerwanderung und nicht zuletzt dem
Missionierungsdruck der gerade aufkeimenden christlichen Kirche wurde ein
Paradigmenwechsel in Gang gesetzt, der immense Auswirkungen auf die Stellung
der Frau und damit auch deren Heilkunde hatte.
Für
mich, in einer rationalen, patriarchalischen, christlich geprägten Welt
sozialisierten Frau des 21. Jahrhunderts, schulmedizinisch beeinflusst, ist es nur schwer vorstellbar, wie der Austausch
mit der Natur, den Pflanzen und den ursprünglichen Göttern konkret stattfand. War
die Kommunikation mit der Natur etwas, das eine Generation von der andren
lernte? Vielleicht ist ZEIT ein entscheidender Faktor. Wann nehme ich mir in
meinem Alltag die Zeit, mich in die Natur zu begeben und dort an einem Platz zu
Verweilen, zu Hören, zu Fühlen und die Gedanken abzuschalten. Womöglich ist
Rückzug und Innehalten bei der Suche nach dem Wissen der Vergangenheit der Beste
Weg nach vorne.
Ist das alte Wissen verloren oder sind nicht doch einige der als esoterisch bezeichneten Lehren die Erinnerung an altes Wissen? Mir scheint, dass die Hinwendung zu Lehren aus dem asiatischen Raum oder dem der amerikanischen Ureinwohner eine Suche nach den eigenen, verloren gegangenen Wurzeln ist. Die Suche nach dem Wissen der Frau in der Hecke.
Ist das alte Wissen verloren oder sind nicht doch einige der als esoterisch bezeichneten Lehren die Erinnerung an altes Wissen? Mir scheint, dass die Hinwendung zu Lehren aus dem asiatischen Raum oder dem der amerikanischen Ureinwohner eine Suche nach den eigenen, verloren gegangenen Wurzeln ist. Die Suche nach dem Wissen der Frau in der Hecke.

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